jack hat geschrieben:Brillengläser mit TrueForm-Technologie werden auf der Rückfläche mit Freiform-Technik gefertigt. Die Vorderfläche wird konventionell bearbeitet.
bringt das was oder ist es nur marketing? fertigen so alle hersteller wenn man individualgläser bestellt?
Nabend jack,
da ich grad Lust und Laune auf einen längeren Eintrag habe, mal hier eine kleine "Bildershow"

"Freiform-Technologie" ist momentan in der Augenoptik der letzte Schrei und wird immer bekannte und stärker beworben. Was die Aussagekraft darüber bringt, kann ich mich nur meinen Kollegen anschließen:
Ob das was bringt, muß jeder Kunde selber entscheiden. by prüflingsprüfer
Was die Theorie dazu angeht, kann ich dir anhand der folgenden Bilder erklären. Um es krass auszudrücken, sind die Standard-Gläser in der Augenoptik ein "Abfallprodukt" der Kunststoffindustrie. Die Herstellung der Grundgläser (Fachbegriff hierfür ist "Blanks") geschieht relativ einfach und verdeutlicht das folgende Bild:

Das fertige Produkt was du dort siehst, ist der Blank. Das absolute Rohprodukt und Ausgangspunkt so ziemlich jedes Kunststoffglases, also der Blank. Ich habs dir nochmal "gemalt" und erkläre es von Grundauf. Der Blank hat eine vordefinierte Basiskurve (die Vorderfläche ist also durch einen gleichmäßigen Radius definiert). Je nach Glaswert greift man zu bestimmten Abstufungen, in die man die Blanks mit ihren Basiskurven unterscheidet.
Vorteile:
- einfach in der Herstellung
- einfach in der Lagerung, da festgelegte Abstufungen (ich brauch nicht für jeden 0,25 Dioptrien-Schritt einen festgelegten Blank)
- schnelle Verfügbarkeit für Glashersteller
Nachteile:
- es werden keine individuellen Paramter berücksichtigt
- vergleichbar mit Konfektionsgrößen -> ist man dazwischen, passt man nirgends richtig rein
Auf die Rückfläche dieses Blanks schleift der Glashersteller nun die Rezeptfläche des gewünschten Brillenglases. Er belässt also die Vorderfläche mit der Basiskurve und "schleift am Blank hinten so lang herum", bis die benötigte Mittendicke und Rückfläche entsteht, die zur gewünschten Glasstärke führt. Anhand der folgenden zwei Beispiel will ich dir zeigen, dass die Basiskurve für unterschiedliche Brillenstärken gleich ist (ich hoffe, das ist erkennbar

):
Es ist also für den Glashersteller von Vorteil, wenn er aus einer Blank-Art, mehrere Glasstärken erzeugen kann. Der Vorteil für den Kunden ist
oftmals (nicht immer) die schnellere Verfügbarkeit solcher Gläser.
Bei der Freiform-Technologie geht man nun einen anderen Weg. Es gibt hier den schon beschriebenen Unterschied, dass man nur die Rückfläche bearbeitet oder Vorder- und Rückfläche. Ich hab dir nun zur einfacheren Erklärung letzteres gewählt. Vorab aber noch ein Bild vom den Werkzeug, mit dem diese Freiformtechnologie überhaupt machbar ist.

Ein feiner Diamantkopf an einer CNC-Maschine erzeugt dank mehrere tausender Messpunkte die gewünschten Stärken. Berücksichtigt aber noch viel mehr als beim Standardglas die Paramter der Brille. Also Abstand vom Auge, Brillenwerte, Durchblickspunkte usw. Eine schlaue Software der Glashersteller errechnet dann ein Oberflächenprofil für die Gläser und die Drehmaschine macht dann ihren Job.
Klingt alles komplizierter, ist es auch und hat dadurch natürlich auch einen höheren Produktionsaufwand und Fertigungszeit. Hier kann man nicht einfach so "vorschleifen" oder etwas aus dem "Lager" weiterverarbeiten.
Das spiegelt sich natürlich letztendlich auch auf dem Preis nieder.
Vorteile:
- individuelle Paramter werden berücksichtigt
- direkt auf den Kunden zugeschnittenes Produkt -> Stichwort: Maßanzug
- ich erhalte ein individuell, auf mich zugeschnittes Produkt und nichts von der "Stange" -> Marketing?

Nachteile:
- längere Produktionszeit (wobei hier viele Hersteller schon sehr zügig sind und man nur von wenigen Tagen sprechen muss)
- die erste Zeit passt ein Maßanzug perfekt, aber wenn man mal zu- / abnimmt...
- die individuellen Paramter müssen auch beim tragen beachtet werden -> Brille mal vorne auf der Nasenspitze, mal direkt vor dem Auge ist unvorteilhaft
- höhere Anschaffungskosten -> wobei auf Kurz oder Lang vermutlich die Preise im Verhältnis sinken werden
Mein Fazit hierzu: die Freiform-Technologie ist technologisch gesehen natürlich ein Fortschritt, ganz klar. Dennoch ist sie nicht für jeden Kunden geeignet und hierzu braucht es vernünftige und ausführliche Bedarfsermittlung und Beratung. Für Kunden die aus dem "Rahmen" fallen und eben zum Beispiel sehr hohe Ansprüche an das Sehen für ihr Leben (Beruf, Hobby, Selbstwertgefühl) haben, oder die eine Einäugigkeit haben und Standard-Gläser dies nicht berücksichtigen können und so weiter, für die ist diese Technologie auf alle Fälle eine Empfehlung. Ob nun ein Erfolg letztlich sichtbar ist, kann man leider vorher nicht sagen, siehe Kommentar von prüflingsprüfer. Meine Erfahrung hat erst die letzte Woche gezeigt: wenn Kunden schon einmal solche Gläser hatten und wunderbar damit zurecht kamen, haben Sie durchaus Schwierigkeiten ein Standardglas (wieder) zu akzeptieren. Ergo: gekocht wird mit heißem Wasser, aber manchmal ist ein bisschen Würze nicht verkehrt!
Und was folgende Frage angeht:
jack hat geschrieben:noch eine frage: ist es richtig, dass rodenstock gläser speziell geschliffen sind und daher die umgewöhnung auf einen anderen hersteller bei der nächsten brille schwierig ist?
Jeder Hersteller verwendet unterschiedliche Basiskurven. Ist die Basiskurve auf der Vorderfläche anders, als bei Hersteller A, muss folglich auch die Rückfläche einen anderen Aufbau aufweisen bei Hersteller B. Es gibt extreme Ausnahmen, bei denen Kunden diesen Wechsel merken, auffällig nach langjährigem Tragen eines Glasherstellers und dann plötzlichem Wechsel, hat aber nun nichts mit der Firma Rodenstock oder sonst wem gemein.