Hallo MinusDrei und alle anderen,
ich lese schon seit einiger Zeit gelegentlich im Forum mit, habe mich nun aber angemeldet, da ich den Eindruck habe, daß hier ein Mißverständnis vorliegt, welches ich aufklären sollte.
MinusDrei, Sie schreiben am Anfang dieses Threads:
da ich vor kurzem hier im Forum erfahren habe, dass mein nur gelegentliches Brilletragen sich auf Dauer wohl ungünstig auf das Sehen im Nahbereich auswirken wird, möchte ich nun dazu übergehen, regelmäßig Brille zu tragen.
Damit beziehen Sie sich offenbar auf
diesen Thread, in dem Herr Luckas geschrieben hat:
Wenn ein Kurzsichtiger die Brille nicht immer trägt, verringert sich sein Akkomodationsvermögen (Anpassung für die Nähe) frühzeitig.
Daraus schlußfolgern Sie offenbar, daß Sie irgendwann in der Nähe nicht mehr gut sehen werden können, wenn Sie Ihre Brille weiterhin nur selten tragen. Um zu verstehen, warum das ein Fehlschluß oder Mißverständnis ist, muß man sich kurz vergegenwärtigen, wie die Anpassung des menschlichen Auges an unterschiedliche Sehentfernungen (die sog. Akkomodation) funktioniert:
Ein Normalsichtiger (also jemand, der eine Fernrefraktion von genau 0 Dioptrien hat) sieht einen Gegenstand, der sich (idealisiert) unendlich weit vom Auge entfernt befindet, scharf, wenn der sog. Ziliarmuskel im Auge entspannt ist und die Augenlinse dadurch eine möglichst flache Form angenommen hat. Einen in der Nähe befindlichen Gegenstand (z.B. eine Zeitungsseite, die sich 40 cm vom Auge entfernt befindet) würde man dann aber nur verschwommen wahrnehmen. Um das zu ändern, hat das Auge aber einen "Trick" (den man gewissermaßen mit dem Autofokus einer Photokamera vergleichen kann): Durch einen Regelkreis unter Beteiligung verschiedener Hirnareale spannt sich der Ziliarmuskel soweit an, daß die Augenlinse (die mit dem Ziliarmuskel verbunden ist) eine stärker gekrümmte Form annimmt, so daß sie einen höheren Brechwert aufweist und der Gegenstand in der Nähe nun scharf gesehen wird.
Leider ist es so, daß diese Verformung der Augenlinse mit zunehmendem Lebensalter immer schlechter gelingt, weil sie härter wird. Man spricht dabei von der Alterssichtigkeit oder Presbyopie, die meist ab einem Alter von etwa 40 Jahren auffällt und zunehmend dazu führt, daß ein ansonsten Normalsichtiger ohne sog. Lesebrille in der Nähe nicht mehr scharf sehen kann.
Allerdings verhalten sich die Dinge bei einem Kurzsichtigen wie Ihnen (Sie schreiben, Sie hätten "etwas über -3", mit "über" meinen Sie vermutlich "dem Betrag nach", also ca. -3,5 Dioptrien) etwas anders:
Sie sehen bei entspanntem Ziliarmuskel den unendlich entfernten Gegenstand merklich unscharf, dagegen einen Gegenstand in ca. 29 cm Entfernung scharf. (Die 29 cm ergeben sich als Kehrwert des Betrages des Dioptrien-Wertes, d.h. gerundet 1/(3,5 dpt) = 0,29 m = 29 cm). Die oben angenommenen Zeitung in 40 cm Entfernung ist also sogar etwas "zu weit" von Ihrem Auge entfernt (daß Sie sie vermutlich dennoch scharf wahrnehmen, liegt daran, daß das Auge gerade bei hellem Licht ähnlich einer Photokamera eine gewisse Tiefenschärfe hat und man nicht jede Unschärfe auch bemerkt). Deshalb sind Sie, um in einem üblichen Leseabstand scharf zu sehen, überhaupt nicht auf die Akkomodation, d.h. die Verformung der Augenlinse, angewiesen und werden deshalb dafür nie eine Brille brauchen (außer Ihre Fernrefraktion sollte sich deutlich ändern, was dann aber an Grauem Star o.ä. liegen dürfte).
Was Herr Luckas offenbar meinte, ist, daß die Alterssichtigkeit schon früher (irgendwann tritt sie bei Normalsichtigen sowieso auf) auftritt, wenn der Akkomodationsmechanismus nicht regelmäßig "trainiert" wird. Ob diese Annahme zutreffend ist und wie groß dieser Effekt ggf. ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich keine wissenschaftliche Untersuchung dazu kenne (Frage an die anderen Forumsmitglieder: kennt jemand eine Aussage dazu z.B. in einem ophthalmologischen oder augenoptischen Lehrbuch oder einem auf PubMed referenzierten Paper?). Jedoch betrifft Sie dieses Problem ja auch überhaupt nicht, da Sie "ausreichend" kurzsichtig sind.
Sollten Sie allerdings eine (Einstärken-)Brille tragen, mit der Sie weit entfernte Gegenstände scharf sehen (wie Sie sie zum Autofahren natürlich benötigen), tritt allerdings folgendes Problem auf: Ihr Auge (gemeint sind natürlich beide) weist zusammen mit dem Brillenglas optische Verhältnisse ähnlich einem Normalsichtigen auf, und Sie werden (im anderen Thread erwähnen Sie, daß Sie über 40 sind) zunehmend Probleme bekommen, mit der Brille in der Nähe scharf zu sehen. Mögliche Lösungen sind: die Brille beim Lesen abnehmen oder eine Mehrstärkenbrille (insbes. eine Gleitsichtbrille) kaufen. Der Nachteil der letzteren ist, daß die Gläser (je nach Glasqualität) deutlich teurer sind und Sie dennoch in der Nähe nicht so gut sehen werden wie ganz ohne Brille (nur ein mehr oder weniger kleiner Teil der Gläser bietet ja eine scharfe Sicht in der Nähe).
Dazu kommt m.E. eine weitere Gefahr bei ständigem Brilletragen: "Sehen" hat ja nicht nur mit Optik zu tun, sondern auch mit der Verarbeitung der Seheindrücke im Gehirn, die durch Gewöhnung beeinflußt wird. Wenn Sie jetzt ein paar Wochen oder sogar Monate ständig Brille tragen, kann das zu einer Gewöhnung an das scharfe Sehen führen, so daß das unscharfe Sehen ohne Brille Ihnen dann Probleme bereitet, die sie bislang nicht hatten (es wird als störend empfunden, führt zu allgemeinem Unwohlsein, brennenden Augen, Kopfschmerzen o.ä.). Sollten Sie dann der Brille überdrüssig werden (nicht jeder hat gerne ständig eine Brille auf der Nase), dürften Sie sich sehr darüber ärgern, überhaupt mit dem ständigen Brilletragen angefangen zu haben, werden evtl. Kontaktlinsen probieren (die natürlich mit zusätzlichen Kosten und Aufwand verbunden sind und auch nicht von jedem gleich gut vertragen werden) oder gar über eine refraktive OP (Augenlasern oder Kunstlinsen-Implantation) nachdenken (wobei Sie mit "normalen" Einstärken-Kontaktlinsen oder einer gelungenen nicht-multifokalen OP zwar in der Ferne scharf sehen, für die Nähe aber zunehmend eine zusätzliche Lesebrille benötigen werden).
Jetzt ist mein Beitrag doch ziemlich lang geworden, aber ich hoffe, daß er verständlich ist. Fragen Sie aber ggf. ruhig nach.
Gruß, Maximilian