Guten Abend / Morgen Vielleser,
also erst einmal ein Lob für diese ausführliche Fragestellung und Beschreibung deines "Seh-Alltags". Das macht die ganze Erklärung und "Bedarfsermittlung" einfacher
Lass mich zu erst konkret auf deine Fragen eingehen und dann werde ich nochmal etwas auf deine anderen Punkte und Vermutungen ansprechen.
Kann das hinkommen, kann die Akkomodation jetzt schon so stark nachgelassen haben oder kommt da eine leichte, nicht mehr zu akkommodierende Weitsichtigkeit mit zum Durchbruch?
Möglich ist sehr vieles, aber gehen wir mal weg von medizinischen Sonderfällen und Sonstigem,
dürfen wir uns bei der Ermittlung für den Nahzusatz nicht allein auf eine Tabelle mit dem Alter und der ungefähren Addition (die Duan'sche Kurve) verlassen. Die Duan'sche Kurve ist
nur ein Anhaltspunkt und stimmt bei weitem nicht in jeden Fall überein. Eine geringe Weitsichtigkeit könnte durchaus eine Rolle spielen, warum die Nahkorrektur etwas höher ist, als beim Durchschnitt.
Entscheidend ob eine Fernbrille nötig ist, sofern eine Weitsichtigkeit vorliegt, ist die
Sehleistung (Visus) die du im Unterschied mit und ohne Korrektion erreichen würdest. Erreichst du ohne Brille in der Ferne einen Visus von 1,00 (oftmals mit 100% angegeben / gleichgesetzt) und mit Brille würde es auf 1,2 steigen, dann wäre sicherlich eine Verbesserung da, ob es einen effektiven Nutzen für dich hat, ist eine andere Frage, da allein für den Straßenverkehr die Anforderungen ohne Brille mehr als erfüllt wären.
Dennoch muss man hier sagen, dass auch eine Nahkorrektion mit diesen Werten in deinem Alter normal sein kann. Ob für eine Fernbrille Bedarf besteht, kann nur eine Augenvermessung (Refraktion) von deinem Augenoptiker des Vertrauens klären.
Die Stärke für eine reine Bildschirmbrile wird ja wohl irgendwo zwischen jener der alten und der neuen Lesebrille liegen, aber worauf sollte man bei einer Brille für den „erweiterten Nahbereich“ achten?
Also der klassische Aufbau einer Bildschirmarbeitsplatzbrille / Lesebrille mit erweitertem Nahbereich ist einer Gleitsichtbrille ähnlich, aber nicht vergleichbar. Das heißt konkret: ohne eine Stufe, also einer sichtbaren Trennkante oder ähnlichem, erhält das Glas von oben nach unten einen immer höheren, mathematischen Pluswert. Im oberen Abschnitt befindet sich der Bereich der für die Entfernung meist zum Bildschirm
* (50 bis 150cm). Verlaufend wird es dann im unteren Bereich immer schärfer für eine Entfernung bis zum gewünschten Leseabstand (ca. 35 bis 45cm).
Bei den allermeisten Herstellern von Arbeitsplatzgläsern hat man die Wahl zwischen
zwei Abstufungen, also wieviel Unterschied zwischen oberen Abschnitt und Leseteil besteht. Im Regelfall ist die Stärke der Presbyopie entscheidend, welche Abstufung genommen wird, wobei natürlich letztendlich der gewünschte Abstand zum Monitor und Schriftstück ausschlaggebend sein sollte.
* Es gibt zum Beispiel von der Firma ZEISS ein "Raumdistanzglas". Einfach gesagt ist es die Kombination aus Gleitsichtbrille und Officebrille,
wobei ich persönlich der Meinung bin, dass es nichts Halbes und nichts Ganzes ist. Vorteil solch eines Glases soll sein, dass man auch über den PC hinaus auf eine Entfernung bis 4m noch scharf sehen kann, aber immer noch breitere Bereiche zur Verfügung hat, als mit der Gleitsichtbrille. Nachteil hiervon ist allerdings, dass eine sehr große Höhe bei der Glasscheibe gewählt werden muss und auch nicht jeder Kunde damit klar kommt, denn ein Kantinengang wird deswegen nicht so reibungslos funktionieren wie mit einer Gleitsichtbrille, aber etwas besser als mit einer Officebrille. Eben nichts Halbes und nichts Ganzes
Wieviel „klares Sehen“ auf mittlere Distanzen (über den Bildschirmabstand hinaus) ist ausgehend von der jetzigen Nahkorrektur realistisch erreichbar bzw. könnte man den Nahwert guten Gewissens abschwächen, um dafür auf mittlere Distanzen dazuzugewinnen?
Rein theoretisch kann man dir das sogar ausrechnen, ist nun aber in Abhängigkeit von einer eventuellen Weitsichtigkeit
Ansonsten wäre eine Einstärkenbrille auf den Zwischenbereich angepasst sicherlich für dich interessant, nur sollte dir klar sein, dass dann längeres Lesen auf Dauer wieder schwieriger wird. An und für sich könntest du mit einer abgeschwächten "Lesebrille" auch noch in 40cm was lesen und auf den Monitor scharf blicken, aber du gehst einen Kompromiss, der da lautet: Zwischenbereich scharf, Nähe nur kurzzeitig scharf und einigermaßen angenehm lesbar. Im Endeffekt genau so, wie du es mit deiner 6½ Jahren alten Brille beschreibst.
Um dir eine Empfehlung aussprechen zu wollen, würd ich dir zu einer klassischen Bildschirm-Arbeitsplatzbrille raten, wie du es schon selbst gesagt hast. Die Degression (bei einer Bildschirmarbeitsplatzbrille gibt man mit Degression das an, was vom Leseteil her nach oben hin reduziert, mehr minus, wird) sollte bei 1,25 oder 1,50 liegen, je nachdem was für dich bei der Ferne herausspringt. Aber da kann dir der Augenoptiker vor Ort mehr sagen und empfehlen. Du solltest dir nur bei der Beratung und Bestellung im Klaren sein, auf welche Entfernung diese Brille maximal scharf sein soll, also wie weit du im obersten Teil damit schauen möchtest.
Warum es im Übrigen mit einer reinen Lesebrille bei dir nicht mehr getan ist, liegt ganz einfach daran, dass der Unterschied zwischen Ferne (sagen wir mal er wäre bei dir 0,00 dpt) und Nähe nun immer größer geworden ist. Während dein Akkommodationsgebiet früher (vor ca. 7 Jahren) bis auf die Armlänge "heran" einwandfrei funktionierte, du also bis zum ausgestreckten Arm die Sachen scharf sehen konntest, wird es mit zunehmenden Alter deutlich kleiner.
Konkret: die Arme sind zu kurz um ein Schriftstück so zu halten, dass es noch angenehm lesbar ist. Eine Brille, die den Abstand von Armlänge (ca 50-60cm) bis auf 35cm "scharf stellt", genügte dir vollkommen.
Nun aber merkst du schon bei 200cm Probleme und eine
Einstärkenbrille allein, kann nicht mehr die gewünschte Entfernung von 200cm auf 35cm ausgleichen, daher ist eine Brille mit mehreren Stärken notwendig, um dir cm für cm ein scharfes Bild zu liefern. Daher würdest du mit einer abgestimmten Einstärkenbrille allein nur einen Kompromiss eingehen, wenn du von 200cm bis 35cm stufenlos scharf sehen willst.
Ich finde deinen Ansatz vor allem sehr gut zu sagen, lieber noch eine Lesebrille und Fernbrille extra, denn das erleichtert dir ungemein den Alltag. Gerade wenn du neben der klassischen Büroarbeit noch ein Hobby wie zum Beispiel Modellbau hast, da ist eine reine Lesebrille das einzig Wahre und die Arbeitsplatzbrille hilft nur bedingt weiter.
Vielleser hat geschrieben:Wenn ich versuche, ohne Brille ein Objekt (z.B. eine größere Aufschrift auf einem Buchrücken im Regal o.ä.) mit beiden Augen scharf zu fixieren, kommt mir ds ohne Brille erst ab einer Entfernung von ca. 1,20 m „scharf“ vor. Mit dem rechten Auge alleine ist es auch ungefähr diese Entfernung, mit dem linken Auge bleibt es aber noch auf größere Distanzen darüber hinaus leicht unscharf. Blicke ich z.B. mit dem linken Auge aus 1,5 bis 2 m Abstand durch das +1,0-Glas meiner alten Lesebrille auf das Objekt, ist es einwandfrei scharf.
Auch bei der Fernsicht kommt es mir so vor, dass rechts zwar alles scharf ist, links aber gaaanz minimal unscharf bleibt (beim normalen beidäugigen Sehen ist es wieder scharf). Halte ich mir das +1,0-Glas vor das linke Auge, kommt mir die Ferne aber trotzdem unschärfer vor als ohne Brille. Und auf dem rechten Auge wird es mit diesem Wert unangenehm unscharf.
Was sagen die Fachleute dazu?
Die einfache Erklärung hierfür liegt in dem geringen Unterschied zwischen dem rechten und linken Auge. Das rechte Auge liegt "näher" bei 0.00 Dioptrien und ist deswegen sozusagen "immer ein Tick schärfer" auf gleicher Entfernung wie das linke Auge. Das mag natürlich beim gucken mit nur einem Auge spürbar sein, aber da wir ja mit beiden Augen zusammenarbeiten und auch die Brillen darauf abgestimmt sind, sollte es kein weiteres Problem darstellen.
Kunden mit 2,00 Dioptrien oder mehr Unterschied zwischen links und rechts, und am besten noch einer Kurzsichtigkeit, spüren diesen Effekt noch deutlich krasser, da meist ein Auge mehr für die Ferne und das andere für die Nähe "arbeitet". Aber das ist eine andere Geschichte...
Ich hoffe ich konnte dir soweit deine Fragen beantworten und falls ich grad im Eifer des Gefechts und zu dieser späten Stunde etwas falsch gedüddelt habe, dann soll mich doch ein Kollege hier berichtigen
Schönen Mittwoch euch allen!